Bergische Morgenpost, Ausgabe Wermelskirchen vom 01. August 2003:

Das Kind starb, aber es gab Halt

Von Gundhild Tillmanns

Die Dabringhausener Beate und Udo Haldenwang verloren ihren zehnjährigen Sohn. Aber sie fanden Halt in der Gemeinde und geben diesen Halt jetzt weiter in einer Selbsthilfegruppe für Eltern schwerstkranker Kinder.

Das letzte Weihnachtsfest der Familie Haldenwang mit dem krebskranken Sohn Michael (2. v. r.). Beate und Udo Haldenwang haben nach dem Tod Ihres jüngsten Sohnes eine Eltern-Selbsthilfe-Gruppe gegründet. Michaels Bruder Matthias (Bildmitte) hat die Leidenszeit ebenfalls hautnah miterlebt.

"Wir haben gemerkt, wie es ist, wenn man Halt bekommt", sagt Beate Haldenwang, deren zehnjähriger Sohn Michael an Leukämie starb. Diesen Halt fanden sie und ihr Mann Udo, aber auch der behinderte Sohn Matthias im christlichen Glauben, bei den Freunden aus der evangelischen Kirchengemeinde Dabringhausen. Aus ihrer persönlichen Leidenserfahrung, aber auch aus der erfahrenen Hilfeleistung heraus haben Udo und Beate Haldenwang eine Elternselbsthilfegruppe gegründet. Das Projekt delfin ist der Elterninitiative der Kinderkrebsklinik Düsseldorf angeschlossen, wo Michael Haldenwang auch behandelt wurde.

Nur Betroffene verstehen auch

"Richtig nachvollziehen können das nur Leute, die selbst betroffen sind", beschreibt Beate Haldenwang die Wichtigkeit solcher Elterngruppen. "Aber wir wollten delfin nicht gründen, um uns selbst zu therapieren", betont Beate Haldenwang. Erst nach geleisteter Trauerarbeit - Michael starb im Januar 1999 - gründeten die Haldenwangs die Gruppe.

Über den Tod ihres Kindes zu sprechen, das hilft Beate Haldenwang immer noch. Und sie tut es ganz bewusst, wie auch die anderen Eltern in der Gruppe. Oft wird sie auf ihre ungewöhnliche Halskette angesprochen - der Anhänger ist die Maus aus der Fernsehsendung mit der Maus: "Das gehört meinem Sohn, aber der ist tot", sagt sie dann ganz unumwunden. Denn Michael bekam die Maus nach einer seiner unzähligen Lumbal- und Knochenmarkspunktionen in der Düsseldorfer Kinderkrebsklinik "für besondere Tapferkeit" geschenkt.

Tapferkeit und Glauben

Und diese Tapferkeit, aber auch seinen Glauben an ein Leben nach dem Tode werden Michaels Eltern und sein Bruder nicht vergessen. In seinem Krankenhaus-Tagebuch hat Michael die endlosen Chemotherapien, immer wieder die schmerzhaften Punktionen, die kritischen Phasen, wenn mörderische Zellen seine Lunge und sein Herz zu zerstören drohten in Fotos, Zeichnungen und mit einer ganz speziellen Sammlung festgehalten. Tapfer trug er Kanülen, Spritzen, sogar die Isolationsverpackungen für die Einschleusung zur Transplantation zusammen, wollte alles für seine Schulfreunde dokumentieren. Aber er konnte in seine Klasse nicht mehr zurückkehren.

Am 8. Dezember 1998 sollte die erhoffte, lebensrettende Knochenmarkstransplantation stattfinden. Der erst zehnjährige Michael verblüffte seine Eltern mit dem Wunsch: "Wenn ich am 8. Dezember transplantiert werde, dann will ich aber am 1. Advent noch Heiligabend feiern - mit Geschenken, allen Freunden und Verwandten." Und heute blickt Beate Haldenwang zurück: "Wir sind alle froh, dass wir ihm diesen Wunsch noch erfüllt haben." Denn Michaels Blutwerte verschlechterten sich so rapide, dass eine Transplantation lebensgefährlich gewesen wäre. "Ich will nach Hause", wünschte sich das Kind. "Und diese letzten Tage waren unsere schönsten," erinnert sich Beate Haldenwang. Michael verweigerte zum Schluss auch die Bluttransfusionen, die eh' nichts mehr brachten. Er wurde immer schwächer. "Michael ist zum Schluss ganz ruhig eingeschlafen. Und er hatte auch eine Vorstellung vom Himmel", gibt die Mutter Michaels Worte wieder: "Ich gehe über eine goldene Straße und komme zu einem Brunnen. Und in dem Brunnen schwimmt ein gläserner Fisch."

Beate Haldenwang wird nachdenklich: "Und heute fällt mir bei diesem Fisch unser Projekt ein: delfin." Denn auch darin lebe ihr kleiner Sohn nun weiter.